re:publica 18 – POP: Power of PR?
Muss man einen Kommentar zur re:publica18 mit dem Bundeswehrskandal beginnen? Ich denke nein. Denn für diejenigen, die den Skandal nicht mitbekommen haben, ist das Thema irrelevant (Willkommen in der Filterbubble). Und diejenigen, die den Skandal kennen, haben ihn ausreichend rauf und runter diskutiert (Willkommen in der anderen Filterbubble). Es ist ohnehin unmöglich, die Faktenlage darzustellen, ohne nicht gleich selbst Stellung zu beziehen. Und genau das ist ja das Grundproblem.
Stoff mit viralem Potenzial
Aus Sicht eines Storytellers ist das ganze Ereignis höchst interessant, beinhaltet es doch alle Komponenten einer packenden Geschichte: da sind Protagonisten und Antagonisten. Da sind Konflikte und Grenzüberschreitungen. Da sind Emotionen pur und genügend Stoff, der virales Potenzial bietet.
Als hätte jemand das Drehbuch zur re:publica18 geschrieben (ohne die Macher der Veranstaltung zu fragen), so wurde der Skandal um die Guerilla-PR-Aktion der BW zum Kristallisationspunkt genau der Themen, die von den 10.000 Teilnehmer an drei Tagen auf über 10 Bühnen und in unzähligen Workshops diskutieren wurden.
Wieviel POP wollen wir?
Die Netzgemeinde vor Ort zeigte sich vor allem enttäuscht. Dahin war die Aufbruchsstimmung, ja fast hippieartige Blumenkinderromantik, die die re:publica bei Beginn ihrer Gründung 2007 umwebte. Die Veranstaltung war immer schon stark politisch geprägt – Berlin eben. Doch 2018 ging es nun nicht mehr um Freiheit und Kreativität im Netz, sondern um Regulierung und Eindämmung.
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Man hatte an die Kraft der freien Rede und das Gute im Menschen geglaubt und wurde jetzt eines Besseren belehrt: Die dunkle Seite hatte das Netz übernommen. Und so bekam das gutgemeinte Motto der diesjährigen re:publica „POP - Power of People“ einen bitteren Beigeschmack. Wie viel Macht will man Menschen im Netzt tatsächlich geben?
Die Verantwortung der PR
Für PR-Profis sind Brennpunkte wie Hate-Speeches, Fake-News und Machtmissbrauch im Netz hoch relevant. Zeigen sie doch, welchem massiven Wandel die Medien- und Kommunikationswelt heute unterworfen ist und in welchem Sturm Unternehmenssprecher und Public Relations Manager derzeit arbeiten. Unser Beruf verändert sich. Massiv. Und das nicht immer zum Guten. Und so ist nach dieser re:publica umso mehr klar, welcher Verantwortung sich PR- und Kommunikationsverantwortliche zukünftig stellen müssen:
Hört auf. Hört zu.
Wir brauchen eine Debattenkultur. Nicht nur im Netz. Auch offline. In Talkshows, auf Podiumsdiskussionen, in Meetings und Brainstormings wird schon lange nicht mehr mit guten Argumenten und gegenseitigem Respekt diskutiert. Stattdessen wird mit Teilwahrheiten jongliert, emotional attackiert und radikal umgedeutet. Schlimmer noch, täglich trainieren wir uns die Kunst der Debatte ab. Denn ein Post in Facebook oder Tweet in Twitter ist kein echter Diskussionsbeitrag, sondern meist nur ein feiger Zwischenruf. Die engagierte Rede von Sascha Lobo, die leider im Gezwitscher zum Bundeswehrskandal verhallte, mahnte eindringlich einer neuen Haltung: weniger zu plärren, besser zuzuhören und redlicher zu antworten.
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Auch zahlreiche Medienprojekte, die in Berlin diskutiert wurden, machten in dieser Hinsicht Mut. So zum Beispiel die Aktion „Deutschland spricht“ von Zeit online. 1.200 Leser willigten dabei ein, sich mit einem anderen Menschen auf ein dreistündiges Gespräch einzulassen, von dem sie wussten, dass er politisch komplett anderer Meinung sei. Die Zeit ist nicht das einzige Medium, das versucht, neue Plattformen für Zwiegespräche und Diskussionen zu schaffen. Denn genau das ist der entscheidende Schritt, wenn wir Hass und Radikalisierung in der Kommunikation überwinden wollen. Wir müssen mehr miteinander reden und weniger übereinander. Eine große Aufgabe für PR-Verantwortliche, wie ich meine.
Nicht ohne meinen Anwalt: Krisenkommunikation, die zurückschlägt
In manchen Fällen reicht aber der gute Wille nicht aus. Das wird sehr schnell klar, als Richard Gutjahr die re:publica-Bühne betritt. Der Journalist des Bayerischen Rundfunks ging in den letzten zwei Jahren durch die Hölle, wegen eines einzigen Wortes: „zufällig“. Zufällig war Gutjahr mit seiner Familie in Nizza und beobachtete das LKW-Attentat, bei dem 86 Personen getötet wurden. Und zufällig war er sieben Tage später in der Nähe des Olympiaeinkaufszentrums in München, wo ein Jugendlicher neun Menschen erschoss. Die Tatsache, dass ein Journalist, egal ob im Urlaub oder am Wohnort, seiner Arbeit nachgeht, brachte Gutjahr auf das Radar sogenannter „Truther“ und Verschwörungstheoretiker. Sein Vortrag „Nach Nizza und München – Anatomie eines Shit-Tsunamis“ sollte Pflichtlektüre für jeden PR-Verantwortlichen sein. Gutjahr zeigt darin akribisch die Dynamiken auf, die zur Meinungseskalation im Netz führen und welch fatale Macht und Auswirkung dies für die Betroffenen hat. Nach zwei Jahren Leidensweg geht Gutjahr jetzt zum Angriff über. Sein wichtigster Tipp: Wegducken geht nicht mehr.
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Die Zeiten, als der Streisand-Effekt die einzig richtige Strategie war, um Bad News im Netz auszuhalten, sind vorbei. Zurückschlagen ist die Devise. Zu allererst mit allen rechtlichen Mitteln und dann mit allen kommunikativen. Entscheidend ist, das Recht an der eigenen Geschichte zurückzuerobern. Krisenstrategien, die einst auf Einfühlungsvermögen und Perspektivwechsel setzten, sind längst nicht mehr zeitgemäß. Die Krisen-PR muss sich mit völlig neuen Instrumenten wappnen.
PR versus Science Fiction: Die Geschichten, die wir zukünftig erzählen
Der mehrfach ausgezeichnete und sehenswerte Dokumentarfilm „The Cleaners“, der auf der re:publica gezeigt wurde, prangert die Arbeit der digitalen Putzkolonne des Internets an und zeichnet ein Bild der Wirklichkeit, das wir eigentlich nur aus Science Fiction Filmen kennen. Und tatsächlich diskutierten Dokumentarfilmer und Drehbuchautoren auf Stage 6 unter dem Titel „In der Zukunft leben: Narrative Formen unsere Welt“ über die Auswirkungen des Storytellings auf die Gestaltung der Welt von morgen.
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Prägen die Dystopien, die uns Autoren in Science Fiction Filmen meist vorsetzen, unsere Sichtweise und Einstellung gegenüber der Zukunft? Wirkt sich dieses Priming gar auf die tatsächliche Gestaltung der Zukunft negativ aus? Der Unternehmens- und Innovationskommunikation kommt in diesem Zusammenhang große Verantwortung zu, muss sie doch ein Gegenmodell zu diesen mächtigen Narrativen anbieten, denn die Geschichten, die wir erzählen, prägen selbstverständlich unser Bild von morgen.
Anstatt also sich am Bundeswehrskandal zu weiden und über die Macher der re:publica lästernd herzuziehen, sollten wir stattdessen tiefer hineinblicken und das Themenspektrum des diesjährigen Kongresses sehen als Lehrstück und Mahnung zugleich – für eine zukünftige Neuausrichtung der Public Relations.
Zur Autorin
Petra Sammer ist Creative Strategist, Ideencoach und Trendscout im Bereich Kommunikation, Marketing und PR. Als Keynote Speaker, Buchautorin und Trainerin gibt sie ihr Wissen und ihre Erfahrung aus 25 Jahren Unternehmensberatung bei Ketchum an Unternehmer, Marketingprofis und Kommunikationsverantwortliche weiter. In ihren Seminaren, Workshops und Trend Talks hilft Sammer, neueste Kommunikationstrends strategisch einzuordnen und kreativ, vor allem aber effektiv nutzbar zu machen. www.petrasammer.com