Die "besseren Engel" unserer Natur
Aus dem Englischen von Melissa Waggener Zorkin
Anlässlich des Jahreswechsels und angesichts der vielen Änderungen in der ganzen Welt habe ich viel darüber nachgedacht, was echte Führungskompetenz ist. Als CEO und professioneller Kommunikator bin ich überzeugt, dass Unternehmen einen wichtigen Beitrag zur Lösung der großen Probleme dieser Welt leisten können. Aber Personen und Unternehmen dürfen es nicht nur bei Worten belassen. Sie müssen Taten folgen lassen – im Wissen, dass sie Wachstum erzielen können, indem sie „Gutes“ tun. Das beginnt auf der Führungsebene. Ein guter CEO schaut nicht nur auf den Gewinn, sondern hat einen ganzheitlichen Blick auf die Welt und die Rolle, die sein Unternehmen in ihr spielt. Er fragt sich: „Was ist das Ziel?“ Für mich ist das die wichtigste Frage von allen.
Genau auf dieses Thema ging Satya Nadella, CEO von Microsoft, auf dem letztjährigen Weltwirtschaftsforum ein. Zunächst fragte er: „Was geschieht, wenn nur die reichen Nationen Zugang zu Daten, Wissen, Analysen und Informationen haben, die dank leistungsfähiger Mobil- und Cloud-Technologien verfügbar sind?“ Seine Antwort: „Wenn wir am Ende nicht vor einer digitalen Kluft zwischen Menschen stehen wollen, die ungehinderten Informationszugriff haben, und Menschen, denen dies verwehrt bleibt, dann müssen wir Mittel und Wege finden, die Vorteile des Cloud-Computing für alle zugänglich zu machen.“ Bei der Gelegenheit sagte er Cloud-Computing-Ressourcen im Wert von einer Milliarde Dollar für Non-Profit- und Non-Government-Organisationen weltweit als Beitrag zu, den Nutzen von Technologie auf möglichst breiter Front verfügbar zu machen. Seither hat Microsoft noch andere Schritte unternommen, um allen Menschen die Vorteile der Cloud zugänglich zu machen.
Das ist sehr gutes Beispiel für einen CEO, der die Rolle der Wirtschaft ganzheitlich betrachtet und konkret etwas unternimmt, um Veränderungen herbeizuführen. Das Engagement für eine Sache darf sich aber nicht in einer Einzelaktion erschöpfen. Unternehmen müssen Ihr Commitment mit jeder Aktion erneut unter Beweis stellen. Entscheidungen sollten grundsätzlich auf einen bestimmten Zweck ausgerichtet sein. Immer mehr herausragende CEOs erkennen, dass mutiges, zielgerichtetes Engagement gut für die Welt und gut für das Geschäft ist. Die Fortune-Liste der weltweit wichtigsten Führungspersönlichkeiten des Jahres 2016 verrät viel darüber, wie schwierig es im 21. Jahrhundert ist, als hervorragender CEO zu gelten. Laut Fortune reicht es in der heutigen Zeit nicht mehr, „souverän, intelligent oder vorbildlich“ zu sein. Die größten Führungspersönlichkeiten verkörpern noch vielmehr: Sie „begeistern andere Menschen dafür, zu handeln, und sich gemeinsam mit ihnen für eine gute Sache zu engagieren.“
Der frühere CEO von Starbucks, Howard Schultz, hat das „Engagement für eine gute Sache“ verinnerlicht und umgesetzt. Er rückte Starbucks in das Zentrum des nationalen Diskurses über schwierige Themen – von Rassenbeziehungen bis zu Rechten von Homosexuellen und Veteranen. Dabei stellte er sich die Frage: „Wie können wir unseren Einfluss nutzen, um Positives zu bewirken?“ Mittlerweile hat er seine Position als CEO von Starbucks aufgegeben, um sich voll und ganz auf Innovationen und gesellschaftsverändernde Aktivitäten zu konzentrieren. Jeremy Basset von Unilever erklärte im Juni in Cannes: „Die Brands, die konsequent auf Nachhaltigkeit setzen, wachsen um 30 Prozent schneller, als unser übriges Portfolio.“ Das Engagement für eine gute Sache zahlt sich also aus.
Unternehmen können mutig und solidarisch handeln, um ihre Anliegen zu verbreiten und um letztlich auch Veränderungen zu bewirken. Im letzten Jahr taten sich um die 90 der bekanntesten Führungspersönlichkeiten zusammen – von CEOs internationaler Unternehmen bis zu Chefs der großen Hollywood-Filmstudios – und schrieben einen offenen Brief an Gouverneur Pat McCrory und die North Carolina General Assembly mit der Aufforderung, ein Gesetz zu widerrufen, das in ihren Augen Transgender-Schüler diskriminierte. Mit klaren Worten wiesen die Führungskräfte darauf hin, dass das Gesetz nicht „den Werten unserer Unternehmen, unseres Landes und auch nicht der großen Mehrheit der Einwohner North Carolinas entspricht“.
Natürlich können nicht alle Unternehmen auf globaler Bühne agieren oder Milliarden Dollar für ein bestimmtes Anliegen spenden. Aber eine Kultur der Verantwortung kann auch im Kleinen große Wirkung zeigen. Erst letzte Woche ist mir dafür ein überzeugendes Beispiel untergekommen. In einem Beitrag des lokalen TV-Senders wurde gezeigt, wie in Portland (Oregon) ein Safeway Supermarkt gemeinsam mit der örtlichen Feuerwehr während eines schweren Schneesturms dafür sorgte, dass ein Epileptiker mit dringend benötigten Medikamenten versorgt wurde. In dem Bericht über das außergewöhnliche Engagement von Safeway erklärte der Reporter: „Geschäfte verkaufen nicht einfach nur Produkte. Dahinter stehen auch Menschen, die sich für andere einsetzen.“
Das sind nur einige wenige Beispiele für CEOs und Unternehmen, die sich mit der Frage nach dem Ziel auseinandersetzen und diese mit ihren Taten beantworten. Die Verbraucher nehmen das sehr wohl zur Kenntnis. Von den Unternehmen, bei denen sie kaufen, erwarten sie, dass sie für Werte stehen und ihre Absichten kommunizieren. Die Generation Z macht heute 25 Prozent der amerikanischen Bevölkerung aus. Zahlreiche Studien belegen, dass es sich dabei um eine diverse Gruppe handelt. Grundlegende Dinge wie beispielsweise das Verhältnis zwischen Mensch und Natur sind ihnen ein wichtiges Anliegen. Und diese technikaffine Generation hat großen Einfluss auf Kaufentscheidungen im Haushalt.
Millennials, ebenfalls ca. 25 Prozent der amerikanischen Bevölkerung, achten bei ihren Kaufentscheidungen darauf, ob die Werte eines Unternehmens mit ihrer Einstellung vereinbar sind. Sie fragen nach, ob Unternehmen nachhaltig agieren, ob sie Konfliktmineralien in ihren Produkten verwenden, ob sie eine Politik der Chancengleichheit und gerechten Bezahlung praktizieren. Brands, die ihre Werte nicht kommunizieren und sich nicht für wichtige Anliegen einsetzen, landen unter Umständen am Pranger und verlieren an Bedeutung.
Es war schon immer eine Herausforderung, für seine Meinung öffentlich einzustehen. Manchmal erscheint es riskant. Aber heute erwarten die Verbraucher mehr denn je, dass Unternehmen und ihre Führungsriegen für etwas Größeres stehen und dementsprechend handeln. Das Risiko besteht also darin, KEINE klare Position zu beziehen und diese mit Taten vorzuleben. Wir stehen am Anfang großer Umwälzungen auf der ganzen Welt, die vom Brexit bis zur neuen amerikanischen Regierung reichen. Zeiten des Umbruchs sind immer ein guter Augenblick, unsere Überzeugungen, unsere Ziele und sogar unsere Geschichte auf den Prüfstand zu stellen. Vor mehr als 150 Jahren, in Zeiten beispielloser Umwälzungen, mahnte der neue amerikanische Präsident Abraham Lincoln bei seiner Amtseinführung die Menschen in den Vereinigten Staaten, sich auf das Gute in ihnen zu besinnen und an die „besseren Engel unserer Natur zu denken“.
Ich bin überzeugt: Auch Unternehmen müssen „an die besseren Engel ihrer Natur“ denken. Es ist ein ebenso zeitloser wie universeller Gedanke.